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Mein Hörtipp: Noriko Ogawa und Michael Collins: „ La clarinette parisienne“

Im 18. und weiten Teilen des 19. Jahrhunderts wurde das Musikrepertoire für Klarinette wohl im Wesentlichen durch solche aus dem deutschen Sprachraum bestimmt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden so z.B. in Frankeich schließlich hier eigene Werke komponiert. Einen spannenden Überblick darüber bietet diese neue CD mit dem Klarinettisten Michael Collins und der Pianistin Noriko Ogawa. Gemeinsam spielen sie Kompositionen von Claude Debussy, Charles-Marie Widor, Camille Saint-Saens, André Messager, Henri Rabaud und Francis Poulenc. Beim ersten der beiden hier eingespielten Werke von Poulenc: „Sonata for two Clarinets“, wird Collins von Sérgio Pires an der zweiten Klarinette begleitet.

Interessant ist vielleicht, dass die Stücke von Debussy, Widor, Messager und Rabaud als Prüfungs- und Wettbewerbsstücke für das „Pariser Conservatoire“ komponiert wurden. So sollte übrigens u.a. nach dem Deutsch-Französischen Krieg auch eine neue kompositorische Unabhängigkeit von Deutschland in der Musik erreicht werden.

Michale Collins ist als Klarinettist weltweit bekannt, insbesondere als Solist. Daneben ist er als Dirigent tätig und spielt als erfahrener Musiker mit den größten und besten Orchestern zusammen. Sein besonderer persönlicher Einsatz gilt aber der Förderung des klassischen Klarinettenrepertoires und er spielt dieses so oft es nur geht, so u.a. für die BBC Proms oder das Edinburgh Festival.

Noriko Ogawa wird seit langem schon von der Fachpresse für ihr ungemein poetisches Spiel gelobt und gilt als eine der Expertinnen für die Musik von Claude Debussy. Zudem ist sie als Rezitalistin und Kammermusikerin gefragt und setzt sich u.a. sehr für „Neue Musik“ ein. Sie war daher z.B. an Uraufführungen mit Werken u.a. von Toru Takemitsu, Dai Fujikura und Graham Fitkin beteiligt und engagiert sich persönlich und leidenschaftlich für karitative Zwecke, so u. a. als Kulturbotschafterin der National Autistic Society (GB) und als Gründerin der „Jamie´s Concerts“ für autistische Kinder und ihre Eltern.

Die hier musizierenden Solist:innen sind technisch über jeden Zweifel erhaben. Gerade aber aus diesem Grund heraus besteht die Gefahr eines „Wettbewerbs“ untereinander, was bei nur zwei Instrumenten zu einer herausfordernden oder sogar nervenden Sache werden kann. Nicht so hier. Collins und Ogawa hören sich zu, respektieren den anderen und lassen ihm den notwendigen Raum. Sie interagieren und brillieren, ohne dabei den anderen zu dominieren oder gar zu „überspielen“. Die Klarinette übernimmt dabei eine Art Gesangspart, denn so wirkt sie auf die Zuhörer:innen: Wie die Stimme bei einem intimen Liederabend.

Die Darbietungen aller Stücke haben eine fließende Bewegung und durch viele kleine und große Dynamiksprünge interagieren die Musiker:innen in so faszinierendem Maße, dass die luftig-harmonische Grundstimmung  von einer inneren Spannung getragen wird. Die Klangfarben sind kräftig und die musikalischen Strukturen scharf umrissen und klar definiert. Es macht einfach Spaß zuzuhören.

Die ausgewählten Werke sind sehr unterschiedlich und die Solisten daher immer aufs Neue gefordert. Diese Vielfalt bietet aber zugleich viele neue Möglichkeiten und Räume für Interpretationen. Die Darbietungen sind individuell und zum Teil trotz oder gerade wegen ihrer, zumindest so wirkenden Einfachheit, enorm sinnlich. Verträumte Passagen wechseln sich ab mit vor Spontanität nur so sprudelnden Teilen. Ja, man kann sagen, dass Ästhetik ganz offensichtlich auch eine wichtige Rolle spielt und diese durchweg und umfassend ausbalanciert dargeboten wird.

Gerade die Klarinette zeigt u.a. durch klangliche und dynamische Sprünge und einem Wechsel von schnellen und lauten, zu ruhigen melodischen Passagen, zu welchen fast schon „Kapriolen“ sie fähig ist. Dies ist jedoch keine Virtuosen-Prahlerei, es gehört einfach mit zur Musik und der Vorstellungen der Musiker:innen von der klanglichen und interpretatorischen Umsetzung der kompositorischen Inhalte. Dies gilt insbesondere auch für das Stück von Poulenc, bei dem Sérgio Pires als zweiter Klarinettist brilliert.

Die SACD ist in diesem Jahr neu erschienen, die Aufnahme erfolgte aber bereits im November 2019. Klanglich ist es bei dem schwedischen Label BIS eigentlich nie eine Frage, ob es gut klingt. Dies gilt besonders für die SACD Spur der sehr räumlich wirkenden und warm timbrierten Aufnahme, was insbesondere bei der Besetzung und der Verwendung eines großen Steinway D von großem Vorteil für Bereitschaft der Zuhörer:innen ist, sich in die Aufnahme hinziehen zu lassen.

Dieses Album zeigt erst dann seine ganze Tiefe, Komplexität und große Emotionalität, wenn man ihm wirklich „zuhört“. Keine Hintergrundplatte, aber eine, die Menschen mit wunderbaren harmonischen Empfindungen belohnt.

Unbedingt anhören! Sehr empfehlenswert und in der heutigen hektischen, temporeichen, lauten und permanent von einer massiven Soundatmosphäre geprägten „Beschallung“, eine wohltuende Chance sich für die Spieldauer der CD in eine von menschlicher Wärme und spannungsgeladenen Empfindungen geprägte Klangreise hineinfallen zu lassen. Musik kann das und ganz besonders dieses wundervolle Album.

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Hier noch ein paar interessante Links zu den Musiker:innen und dem Label sowie ein Youtube Klang-Tipp:

Noriko Ogawa

https://www.norikoogawa.co.uk/

Michael Collins

http://www.michael-collins.co.uk/page-sets/biography.html

Sérgio Pires

https://de.sergio-pires.com/

BIS-Label

https://bis.se/

Vertrieb: Klassik-Center

https://classicdisc.de/

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