James Brandon Lewis Quartet: Molecular
Nach der Duettaufnahme mit dem Schlagzeuger Chad Taylor („Live at Willisau“) hat der Saxophonist James Brandon Lewis diese Besetzung nun durch den Pianisten Auán Ortiz und den Bassisten Brad Jones zu einem Quartett erweitert. Das neue Album mit dem Titel „Molecular“ enthält ausschließlich Eigenkompositionen und unterscheidet sich in diesem Punkt von seinem unglaublich spannenden Vorgänger, das Lewis als sein persönliches Tribute-Konzept-Album an John Coltrane konzipierte.
In den Line-Notes spricht Peter Margasak von einer inspirierenden Energie, Neugier und Leidenschaft, die Lewis nicht nur in seiner Musik, sondern auch in den Gesprächen mit ihm zeigt.
Und um was ging es Lewis bei seinem neuen Werk? Er selbst erklärt es so:
„Ich hatte Bilder einer Spirale oder Doppelhelix im Kopf, also begann ich mich damit zu beschäftigen, vertiefte mich in James D. Watsons, Francis Cricks und Rosalind Franklins Arbeit und schaute mir die tatsächliche Struktur an. Nicht so sehr auf wörtlicher, sondern auf konzeptioneller Ebene. Ich erkannte, dass es für mich ein perfektes Vehikel war, um zu beschreiben, wie ich die wahrhaftigste Version meiner selbst finde.“
Mit diesen theoretischen Hintergründen kann man die gedanklichen Umsetzungsideen in der Musik sofort wiedererkennen. Und obwohl sie in einigen Passagen „frei“ klingt, hat Lewis grundsätzlich alles notiert. Dennoch (oder gerade deshalb?) sprudeln die Ideen der Musiker nur so aus ihnen heraus und tatsächlich sind es solche Worte wie Energie, Leidenschaft, die hier ein interessantes Gesamtergebnis entstehen lassen. Viele Linien und balladenartige Melodien werden durch freiere und sich immer wieder aufs Neue überlagernde Parts der einzelnen Musiker verbunden, ohne jedoch deren gemeinsames musikalischen Ziel aus den Augen zu verlieren. Eine vordergründige Komplexität löst sich beim aufmerksamen Zuhörer immer mehr auf zu tiefergehenden und einen förmlich gefangennehmenden sehr gefühlvollen Themen.
Schon das erste Stück, eingeleitet durch Taylor, s(ch)wingt sich von einfach schönen Melodien in immer komplexere und unglaublich spannende klanglichen Bögen und Muster auf. Lewis wechselt übergangslos von den dominanten weichen klanglichen Stimmungen in kurze harsche, dynamische und zum Teil vertrackt-schnelle Themen, um nur wenige Momente später diese wieder aufzulösen und sie wieder in die gemeinsamen harmonischen Gefüge der ganzen Musiker einzugliedern.
Diese Platte ist pure Energie, ohne dabei die starken Melodien und deren Emotionalität zu verlieren. Im Gegenteil, vielleicht gewinnt sie durch diese auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinenden Gegensätze erst? Ein tolles Werk, auch für Einsteiger in neue und moderne Formen des Jazz geeignet. Gleichwohl ist sie vielschichtiger, als sie beim ersten Zuhören erscheint. Der aufmerksame Zuhörer wird sich dessen bei jedem neuen Hören bewusster werden, da bin ich mir sicher.
Eines meiner CD-Highlights in diesem Jahr.
Intakt Records, Intakt CD 350/2020
Rechte und Quelle: http://www.intaktrec.ch/