Mein Hörtipp: Gina Schwarz und Angelo da Silva: Fusao
Ich habe die großartige Bassistin Gina Schwarz erst vor einigen Tagen im Rahmen meiner Rubrik: „Kennen Sie eigentlich…?“ ausführlich vorgestellt (s.u.) und darin u.a. auf die heute ganz neu erscheinende CD: „Fusao“ hingewiesen. Wie versprochen, hier die Besprechung.
Gina Schwarz hat sich durch die Coronabeschränkungen und Auswirkungen auf Künstler:innen nicht in ihrer Arbeit und ihrer Kreativität beeinträchtigen lassen. Im Gegenteil. Die Musikerin hat gleich mehrere Alben veröffentlicht und mit diesem hier ein sehr besonderes vorgelegt, gemeinsam mit dem brasilianischen Gitarristen und Komponisten Angelo da Silva.
Ein Duo mit Bass und Gitarre ist nicht so häufig anzutreffen, was eigentlich erstaunlich ist. Ein Grund könnte darin liegen, dass sich beide Instrumente doch recht ähnlich sind, sich tonal überschneiden und daher ein solches Zusammenspiel schnell eintönig werden kann. Dass diese Gefahr bei diesen beiden Musiker:innen nicht bestand, war jedem klar, der sie kennt.
Beide spielen ausschließlich die akustischen Varianten ihrer Instrumente, so dass hier von Beginn an eine wunderbare und fast schon zärtliche Grundstimmung besteht, eine, die in Richtung vieler feiner und gefühlvoller Motive geht. Schon nach den ersten Minuten fällt auf, wie die beiden ihren Instrumenten genau die Details, die ungemein fein-dynamischen Fähigkeiten und schillernden Klangfarben entlocken, die bei elektrisch verstärkten Instrumenten so einfach nicht zu erzeugen sind.
In der ersten Minute wird das Konzept des Albums komprimiert dargestellt: Ein kurzer, schneller und abwechselnder Dialog der beiden Instrumente. Fast wie eine gegenseitige Aufforderung beim Beginn eines Gesprächs, gefolgt von ganz kurz eingespielte rhythmischer Ausrufezeichen. Und dann? Nun, dann beginnt die fantastische Reise der beiden.
Im Cover der CD schreibt Simeon Morrow:
„You listen, enjoy, admire. When you close your eyes, you hear a 10 string instrument – a kind of Fusion – fusao“.
Eine wirklich sehr treffende Zusammenfassung, denn wie die beiden Ihre Instrumente ineinander und miteinander akustisch zusammenfließen lassen, ist große Kunst. Mal „sprechen“ sie sich gegenseitig an, fordern sich heraus, argumentieren musikalisch in einem stimmigen Dialog, um schließlich zu einem gemeinsamen Instrument zu verschmelzen, bei dem man nicht mehr sicher ist, welcher Ton gerade von wem kommt.
Wunderbare Melodien und langsame, wellenartigen, akustischen Bewegungen und zerfließende Klanggebilde. Und eine klar wahrnehmbare Reinheit und Schönheit.
Ja, vielleicht ist es der bessere, richtigere Ansatz, wenn man sagen würde, dass hier wirklich ein einziges sehr einfühlsames 1-saitiges Instrument spielt und dieses ein harmonisches, dynamisches und klangfarbenstarkes Bild erzeugt, das einen in kleinen Parts mit italienischen, spanischen und portugiesischen Einflüssen regelrecht verzaubert.
Ein leises, ein ruhiges aber niemals langweiliges Album. Mein Favorit? „Noce Italiana“! Eine entspannte, hymnische Melodie, mit sehr zarten fast schon ein wenig traurigen Nuancen und vielen Pausen, die so wichtiger Bestandteil dieses balladenartigen Stücks sind.
Gina Schwarz und Angelo da Silva haben hier 9 gemeinsame Kompositionen vorgelegt, die eine in sich fast schon atemberaubende Schönheit und eine unglaubliche Melodienvielfalt mit einer träumerischen Klangästhetik verbindet. Viele filigrane, einschmeichelnde Linien mit zum Teil in der Folklore und traditionellen Tänzen der Länder angesiedelten Einflüssen. Alles musiziert ohne die eigenen spieltechnischen Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen. Zwei hervorragende Musiker:innen, große Virtuosen ihres Fachs und dennoch bereit sich als ein neues Ganzes allein den Intentionen der gemeinsamen Musik völlig unterzuordnen. Reduziert, berührend, verletzlich und dann wieder leicht tänzerisch, und immer mit großer Energie und hörbarer absoluter Hingabe.
Das Ergebnis ist schlichtweg phantastisch und es bleibt zu hoffen, das sich diese beiden Künstler:innen nicht das letzte Mal zusammengefunden haben. Hier spielen zwei echte Seelenverwandte als ein neuer gemeinsamer Klangkörper mit schier grenzenloser musikalisch-poetischer Kraft und einer ungemein schlichten und dennoch großen Schönheit.
Unbedingt anhören!
Hier wieder ein paar links zu Hintergrundinformationen und Videoanspieltipps: