Mein Hörtipp: Nils Mönkemeyer und Dorothee Oberlinger: „Dance for two“
Ein besonderes Duo, bestehend aus 2 wirklich großartigen, sympathischen Menschen und außergewöhnlichen und grandiosen Musiker:innen: Ein Bratscher und eine Blockflötistin, beide sehr interessiert an unbekannten und neuen Werken, begeben sich hier auf diesem neuen Album auf eine akustische Reise durch 900 Jahre Musikgeschichte, die in dieser Form, Besetzung, Bearbeitungen und Interpretationen meiner Kenntnis nach einmalig ist. Die beiden übertragen und arrangieren dabei außergewöhnlich spannende und großartige Musik auf ihre Instrumente und erweitern deren Klangkosmos auf fast magische Art.
Und ihre Musikauswahl ist ebenfalls besonders, denn ausgehend von Hildegard von Bingen, über Béla Bartók, Nicola Matteis, James Oswald und Johann Sebastian Bach (mit gleich mehreren Werken) geht es über die US-amerikanischen Komponisten Morton Feldmann und John Cage mit ihren meditativ erklingenden Werken schließlich zu Kompositionen der in München lebendenden griechischen Komponistin Konstantia Gourzi. Sie hat das wohl einzige Werk für diese Duo-Besetzung geschrieben und es den beiden Musiker:innen auch gewidmet: „Dance For Two“ (hier in der Weltersteinspielung)
Das Album ist so aufgebaut, dass es den Zuhörer:innen die klangliche und emotionale Teilnahme an einer großen musikalischen Reise ermöglicht, beginnend im frühen 12. Jahrhundert, weiter über den Barock, bis schließlich zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Bearbeitungen sind ausnahmslos hervorragend gelungen und, aufgenommen auf Schloss Elmau im September 2022, auch klanglich in jeder Hinsicht hervorragend. Wunderbar, wie warm, subtil und räumlich die beiden Instrumente im gemeinsamen Dialog und als Soloinstrumente ihre großen Klangfarbepaletten wiedergeben können. Eine Harmonie zum Niederknien und feinste Verzierungen, die mehrfach das große Können und das tiefe Verständnis der beiden hörbar belegen. Es ist unglaublich, welche Klangfarben und feinste Nuancen die Bratsche und die Flöte hier offenbaren. Sicherlich ist die Reduzierung auf die beiden Instrumente mittelbar mit dafür verantwortlich, dass man noch besser hören und unmittelbar wahrnehmen kann, welchen enormen klangfarblichen Umfang die Instrumente haben und welche interpretatorischen Höhenflüge Dorothee Oberlinger und Nils Mönkemeyer mit diesen möglich machen.
Gerade in den Stücken, die sie in der Duo-Besetzung spielen, zeigen sie, wie gut sie sich verstehen, wie sie auf den/die andere(n) eingehen können, sich gegenseitig an die Hand nehmen ohne allein die Richtung zwingend vorgeben zu wollen. Alles das ist geprägt von einem jederzeit gleichberechtigten Dialog, der ausschließlich die einzelnen Werke in den Vordergrund stellt und die eigenen Fähigkeiten und die bestehende Virtuosität zwar deutlich werden lassen, diese aber niemals für eine musikalischen Wettstreit oder gar eine Verdrängung des jeweils anderen missbraucht. Einfach absolut großartig!
Beginnend mit einem dieser so fließenden, freien, natürlichen und scheinbar den ganzen Kosmos umfassenden Werke von Hildegard von Bingen („O Ecclesia“), das geschrieben wurde für eine Solostimme mit Chorbegleitung, wird die menschliche Stimme durch die Flöte „gesungen“ und mit der Bratsche als ihren Chor begleitet. Nils Mönkemeyer hat hier die Möglichkeit den Bordunbass zu spielen, mit dem das Duo dann bruchlos und fast schon schwerlos in das zweite Stück wechselt, der Komposition von Konstantia Gourzi („messages between trees“), das ebenfalls mit einem Bordunbass beginnt. Am Ende des Albums ist es dann ein weiteres Werk der griechischen Komponistin, dass auf griechischen Volkstänzen beruht, welches dem Album auch den Titel gab: „Dance for Two“
Aber die beiden Musiker:innen spielen nicht nur gemeinsam. Zum einen lässt uns Dorothee Oberlinger an Ihrer individuellen Sicht auf die Solo-Werke für Cello und an dem Prélude der d-Moll Suite von Johann Sebastian Bach und zum anderen Nils Mönkemeyer an seiner persönlichen Sicht auf die Musik von Nicola Matteis (absolut großartig!), einem italienischen Barockkomponisten, teilhaben.
Gemeinsam hört man die beiden bei der „Volksmusik“ von Béla Bartók und den beiden meditativ-atmosphärischen Stücken von John Cage („Dream“) und Morton Feldmann („One“)
Alleine schon das Arrangement des von einem so ungemein tiefen Glauben geprägte Stücks der wunderbaren Hildegard von Bingen zeigt, dass diese Duo-Besetzung unglaublich viel Potenzial hat und, wenn sie von zwei solchen Ausnahmemusiker:innen gespielt wird, große Lust auf mehr macht.
Schon heute für mich eine der sicherlich besten Veröffentlichungen in diesem Jahr: Spannend, außergewöhnlich besetzt und beseelt mit einem grandiosen warmen Klang kann eine solche Reise durch fast 1000 Jahre Musikgeschichte weitergehen, immer weiter. Und so stimmt mein Fazit auch mit der persönlichen Einschätzung von Dorothee Oberlinger überein, die hier in den Liner-Notes schreibt, dass es ihr um Musik gehe, die die Zeit überdauere, also um einen Hauch von Ewigkeit. Ja, das trifft es wirklich sehr gut!
Ein kleines Meisterwerk, dass alle, die sich darauf einlassen, für die Dauer von knapp einer Stunde in eine andere, eine bessere Welt versetzt und deutlich macht, welche ungemein positiven Wirkungen und welchen enormen Zugewinn an Erkenntnis einem die Musik ermöglicht.
Unbedingt anhören und ansehen am 21.06.23 bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci und am 01.10.23 im Landesmuseum in Stuttgart.
http://www.dorotheeoberlinger.de/