Mein Hörtipp: Yaroslav Likhachev Quartet: Occasional Scetches – clean feed
Bereits vor rund einem Jahr nahm das Quartet seine nun erschiene neue CD auf. Neben Yaroslav Likhachev am Tenor und Sopran Saxophon spielen Yannis Anft am Klavier, Conrad Noll am Bass und Moritz Baranczyk am Schlagzeug. Aufgenommen im Topaz Studio in Köln wurde das Album unterstützt durch die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Nach dem bereits 2019 aufgenommenen Vorgängeralbum „Crumbling“ (s.u.) in gleicher Besetzung hat auch hier wieder der in Köln lebende sympathische Saxophonist alle 9 Stücke selbst geschrieben. Und das Quartett hat seit 2019 eine ungemein spannende und kreative Entwicklung durchgemacht, denn das neue Album klingt von der ersten Sekunde an noch spontaner, direkter und zum Teil im positiven Sinne aggressiver als das mehr auf klassische Strukturen und Melodien fokussierte Album aus 2019. Auch das übrigens eine unbedingte Empfehlung wert!
Ein kurzer monkscher Klavierlauf, eine Einstimmung durch den Bass und schon ist Yaroslav mit einem schnellen fast schon freien Sound voll da. Spannung von der ersten Sekunde an…und schon ein Break und ruhige, fragende Töne in der die 4 Musiker unter sich abzustimmen scheinen, wohin die Reise des Songs weitergehen soll. Ein gegenseitiges abwartendes „Abchecken“ und musikalisches provozieren. Improvisieren ist ein Geben und Nehmen und nur die Musiker:innen, die dieses Gleichgewicht wirklich beherrschen, sind in der Lage bei freieren Passagen genau dieses wieder zu einem musikalischen Ganzen zusammenschmelzen zu lassen. Wenn das Klavier die Führung des ersten Songs übernimmt und sich ganz kurz mit dem Bass einen kleinen Wettkampf um die Führung und die Richtung zu geben scheint, hört man unheimlich konzentriert zu, was die 4 zu sagen haben. Wirklich großartig!
Alle Stücke sind nicht sehr dicht instrumentalisiert und niemals laut, aber dennoch schafft es das Quartett einen ungemein dichten Klang- und Soundteppich um Strukturen, Changes und rhythmische Prozesse und deren Entwicklungen hör- und, ja, erlebbar zu machen.
Die Songs fordern die Zuhörer:innen, sie wollen, dass sie gehört werden. Das ist keine Musik für eine Hintergrundberieselung, denn die Strukturen der aufregenden Stücke haben, wenn man sich darauf einlässt, fast schon etwas magisches, etwas beruhigendes, denn bei ihnen ist man im Hier und Jetzt, mit allen Sinnen. Bei der fast schon förmlich sprudelnden Kreativität der Musiker scheint es kein Limit zu geben und die reine einfache Durchnummerierung der 9 Stücke ist daher eigentlich nur konsequent, denn sie sind alle „ähnlich“, was aber bitte nicht als Kritik zu verstehen ist. Es ist wie ein Reisebericht durch die schottischen Highlands bei denen auch gewisse Dinge gleichbleiben und dennoch eine Unterscheidung deutlich wird, aber eine feine, sehr differenzierte. Man kann, man muss diese CD durchhören, da man in jedem der genialen Songs hören will, wohin er sich entwickelt und welche phantasievollen Einfälle musikalisch von dem Quartet in seinem großen Klangumfang, den Soundkreationen, seinen dramaturgischen Explosionen und einem nicht enden wollenden Ideenspektrum umgesetzt werden.
Ich kenne solch inspirierende dynamischen Werke mit geradezu auflodernden energiegeladenen und zum Teil freien Sounds eigentlich nur vom Schweizer Intakt Label. Schön, dass es außerhalb dieser Ideenschmiede weitere Bands gibt, die bereit sind, die Tür des Jazz im 21. Jahrhundert immer wieder neu zu öffnen und, zum Teil, einfach niederzureißen. Kreative Avantgarde, deren Ziel die Evolution der Musik und ein ständiger Wechsel der Perspektive ist.
Ein großartiges Album einer in jeder Hinsicht spannenden Band, die ich hoffentlich bald live erleben kann, denn wenn nur ein Bruchteil der Energie der CD auf der Bühne ebenfalls entstehen kann, und ich habe hier eigentlich keine Zweifel, dürfte das ein Highlight werden! Übrigens sind selbst die Cover der beiden CDs einfach toll, was zeigt, dass es den 4 Musikerin hier auf das ganze Werk ankommt. Beeindruckend. Sehr beeindruckend und ein Beweis dafür, dass der Jazz sich immer weiter entwickeln wird. Immer!
Beide CDs unbedingt anhören!
https://www.yaroslavlikhachev.com/
Hier wieder ein paar Videohörtipps: